Die Gesellschaft ist so offen und tolerant. Überall herrscht Akzeptanz ... Humbug! Die normale Welt weiß nichts über Schwule, sie kennt sie nicht, sie weiß nicht, wie sie mit ihnen umgehen soll und in ihr herrschen noch all die Homo-Klischees wie in einem absolutistischen Staat, der nicht untergehen will.
Ich: heute auf einem Mittelalterfest. Ein Gaukler legt eine tolle Show hin, er hat Charisma, kokettiert frech mit dem Publikum und jongliert mit allerlei Gegenständen. Ein Baby in den Armen seiner Mutter weint. Er stoppt seine Show und mokiert sich augenzwinkernd über das Kind. Die Mutter solle es nicht so verwöhnen - sonst werde es noch zum Bürgermeister von Berlin. Das Publikum lacht sich scheckig. Ich fühle mich extrem unwohl.
Vielleicht nehme ich das ja auch zu ernst, aber mir geht diese Unwissenheit und Intoleranz, die sich auch noch feige hinter Bildern versteckt, zu weit. Als ob es keine Homophobie wäre, wenn man nur durch die Blume sagt, dass man seine Kinder gefälligst nicht zu weichen Schwuchteln erziehen soll. Wie hier zum einen impliziert wird, dass Homosexualität durch irgendeine Erziehungsmethode gefördert oder eben gehemmt werden könnte - es ist einfach nicht förderlich, solche Klischees und Unfakten zu verbreiten. Zum anderen hat der Gaukler durch dieses kleine Verbalscharmützel zu verstehen gegeben, dass man es auch keineswegs wollen kann, sein Kind zu einem Homosexuellen werden zu lassen. Es kam mir so vor, als ob das gesamte Publikum durch sein herzhaftes Lachen diesen Implikationen aus tiefstem Herzen zustimmte.
Hoffentlich irre ich mich und habe einfach keinen Humor...
Aus meinem Arbeitsalltag weiß ich genau, dass diese ganzen "Scherze" und Herabwürdigungen, sauber anerzogene Automatismen sind, die sich nur schwer wieder abstellen lassen. Selbst wenn man als offen Schwuler neben ihnen sitzt, schaffen sie es zum Teil nicht, die Konsequenzen ihres Handelns vorauszusehen und anders zu reagieren.
Dabei muss man halt sehen, dass Heteros es in ihrem leben quasi schon "zu leicht" hatten. Sie mussten sich nie ausführlich mit sich selbst oder mit anderen Menschen beschäftigen. Ihnen ist diesbezüglich alles einfach so "zugeflogen".
Eigentlich müsste man sie "erziehen". Dafür wäre es aber nötig, dass jeder einzelne von uns im Alltag den Mund aufmacht, wenn eine diskriminierende oder homophobe Situation entsteht. Leider trauen sich die meisten eben nicht, Misstände anzusprechen und gerade zu rücken. Deswegen finde ich auch so Sätze wie: "Meine Orientierung geht niemanden etwas an" ziemlich feige. Sicherlich muss man immer sein persönliches Risiko abschätzen. Aber so lange wir uns verkriechen und nicht reagieren und den Leuten nicht unmissverständlich klar machen, was sie da gerade getan haben, wird es so latent homophob weiter gehen wie bisher.