Bekenntnisse eines ungeouteten Schwulen
Sonntag, 28. Dezember 2014
Homosexualität und Absolute Beginners
Ich wünsche mir, dass mehr Menschen verstehen, wie es ist, ein AB zu sein. Für einen Schwulen ist es sicher noch dramatischer, sich zu outen, aber manchmal habe ich schon das Gefühl, wenn ich jemanden mit meiner Unerfahrenheit konfrontiere, dass er dann denkt, ich sei abartig. Und ich will nicht, dass das jemand über mich denkt.

(aus: "Und wer küsst mich? Absolute Beginners - Wenn die Liebe auf sich warten lässt" von Maja Roedenbeck)
Ja, über die Parallelen von Homosexualität und sexueller/Beziehungsunerfahrenheit habe ich schon oft nachgedacht. Da ich ja nun sowohl das eine als auch das andere bin, habe ich auch ein bisschen Expertise auf beiden Gebieten. Wo man die beiden Phänomene nicht vergleichen kann, ist klar: Homosexualität ist eine sexuelle Orientierung, welche sehr früh, wahrscheinlich schon vor der Geburt, festgelegt wird und auch nicht mehr veränderbar ist. Das Dasein als Absolute Beginner ist eher ein gewachsenes Phänomen, welches in der Pubertät beginnt und auf gewisse traumatische Lebensereignisse und/oder charakterliche Eigenschaften (Introvertiertheit, Schüchternheit, geringes Selbstbewusstsein) zurückzuführen ist. Obwohl man wohl kaum behaupten kann, dass sich jemand ausgesucht hat, eine Leben ohne Sexualität und Beziehung zu führen, so kann man doch trotzdem feststellen, dass eine Veränderung der Situation möglich ist, wenn auch beschwerlich. Seine sexuellen Orientierung hingegen kann man nicht abschalten.

Die Gemeinsamkeiten sind eher auf der Ebene der gesellschaftlichen und für die Betroffenen darausfolgenden emotionalen Problematisierung zu finden. Erst mal ist klar, dass es in einer in einer liberalen und freiheitlichen Gesellschaft kein Problem darstellen sollte, ob jemand Homo oder Absolute Beginner ist. Aus welchen Gründen auch immer man lebt, wie man lebt: Wenn es niemand anderen stört, ist es hinzunehmen. Bei der Homosexualität ist dies theoretisch und rechtlich zwar weitestgehend der Fall, praktisch ist Homophobie aber noch zahlreich vorhanden und in den Köpfen verankert. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, Kulturtheoretiker Klaus Theweleit hat in einem kürzlich gehaltenen Votrag die durchaus plausible These aufgestellt, dass der Hauptgrund für Homophobie der Selbsterhaltungstrieb der Gemeinschaft ist: "Staatlich geschürte oder verordnete Homophobie stützt den staatlich verordneten zweigeschlechtlichen Eheverband als Grundstütze der staatlichen Macht." Was zu vor- und frühzivilisatorischen Zeiten durchaus angebracht war, ist heute einfach nicht mehr nötig.

Nun gibt es die lebenslange Jungfrau wohl auch schon länger (was sich allein schon aus einer Geschichte der Begriffe für dieses Phänomen erahnen lässt), aber ihr Vorhandensein wurde niemals so krass ind intensiv bekämpft wie Homosexuelle. Trotzdem zeigt das Eingangszitat doch eine beedruckende Deckung mit den Ängsten von Homos vor ihrem Coming Out. Ich denke diese Deckung ist eher ein modernes Phänomen, das entstehen konnte, weil die staatliche Diskriminierung von Homosexualität weitestgehend abgeschafft ist. Schwul oder lesbisch zu sein, ist heutzutage in der westlichen Gesellschaft und in einem liberalen Umfeld nicht mehr gleich mit einer Gefahr für das leibliche Wohl gleichzusetzen. Aber das seelische Wohl - und hier trifft der sich Homosexuelle mit dem Absolute Beginner - ist als Minderheit immer unter Stress. Besonders wenn es sich um einen solch zentralen Lebensbereich wie die Sexualität handelt, welcher bereits von Natur aus absolut grundlegend in unserem Wesen ist und in unserer medialen Gesellschaft mit ihren unrealistischen Körperansprüchen und den ständig wiedergkäuten romantischen Märchen immer präsent ist. In diesem Bereich von der Norm abzuweichen, nicht dem Standard zu entsprechen, dies anderen Menschen offenzulegen, bedarf entweder sehr viel Mut oder ist für einige Menschen sogar ausgeschlossen.

Beim Lesen von Maja Roedenbecks Buch über Absolute Beginnners hat mich diese Angst der Betroffenen, anderen von seiner eigenen Unerfahrenheit zu erzählen, sehr berührt. Natürlich gibt es Abstufungen: Für die einen ist es ausgeschlossen, diese Sache über sich preiszugeben, andere drücken sich mit Halbwahrheiten und spitzfindigen Aussagen um ein Coming Out. Die wenigsten gehen offensiv damit um. Berührt hat es mich, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass diese Geheimniskrämerei einen jeden Tag ein Stück mehr zerstört. Es geht um Liebe, es geht um Sex, es geht um Intimität - um Dinge, die für den Menschen eigentlich extrem wichtig sind. Es kann nicht gesund sein, zu verschweigen, dass man diese Dinge mit dem gleichen Geschlecht erleben will oder dass man sie noch nie erlebt hat, obwohl man sich so sehr danach sehnt. Dieses Leid kann man nicht nur mit sich herumschleppen, man muss es verdammt noch mal teilen. Aber ich weiß, wie schwer das ist, vielleicht für den Absolute Beginner noch schwerer als für den Schwulen oder die Lesbe. Homosexualität, ja, mittlerweile weiß jeder, dass es das gibt. Aber Menschen ohne sexuelle und Beziehungserfahrung? Ich befürchte auch immer, dass das vielen Menschen vollkommen fremd und suspekt ist. Erst kürzlich habe meinen Arbeitskollegen, mit denen ich mich super verstehe, von den ersten Dates meines Lebens erzählt, welche ich alle dieses Jahr mit 30 hatte. Ich war aufgeregt und haderte lange, ob ich es so sagen sollte, und der viele Alkohol lockerte meine Zweifel. Es war tatsächlich eine typische Coming Out Situation.

All das weist für mich darauf hin: Aufklärung tut not...

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Letzte Aktualisierung: 13. Juli, 02:03
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