Bekenntnisse eines ungeouteten Schwulen
Mittwoch, 25. April 2012
Der Anfang
Ich bin 28 Jahre alt und hatte noch nie eine Freundin, einen echten Kuss oder eine intime Erfahrung mit einem anderen Menschen. Der Grund dafür wird wohl meine Homosexualität sein, mit der ich mich erst seit Neustem konfrontiert sehe. Natürlich ist dieser Umstand nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Auch wenn einige Konservative meinen, Schwul-Sein wäre eine mal eben getroffene bewusste Entscheidung, um sie auf die Palme zu bringen und ein sündenreiches Leben als Dragqueen o.ä. zu führen. Aber die haben halt noch nicht gemerkt, dass sich nicht immer alles um sie dreht.

Dass man auf Männer steht, kann man entweder bemerken oder will man nicht bemerken. Bewusstwerdung ist eben kein Wissen, welches plötzlich da ist, sondern ein ziemlich komplexer Prozess, der auch über Jahre, gar Jahrzehnte andauern kann. Mh... ja, ich habe mich tatsächlich mein ganzes bisheriges Leben nicht wirklich für Frauen interessiert - jedenfalls nicht jenseits eines heteronormativen Konzeptes von Männlichkeit, das ich für mich unkritisch annahm. Wie also entdeckt man erst Ende Zwanzig seine sexuelle Identität? Ich habe mich ziemlich lange nicht selbst geliebt, ich empfand mich als hässlich und sexuell uninteressant für andere - die Möglichkeit einer romantischen und damit auch körperlichen Beziehung mit einem Menschen war bisher nicht Teil meines Lebenskonzeptes. Da ich also eh keine Pläne hatte, mit irgendjemandem intim zu werden, war die Frage nach der Sexualität eben auch keine drängende für mich. Die homosexuellen Fantasien und der Konsum entsprechenden Materials ließen sich da auch wunderbar als eine Art Wunschvorstellung von einem männlichen Aussehen erklären, welche als Kompensation für mein schlechtes Selbstbild diente. (Die aus dem christlich-orthodoxen Dunstkreis kommenden "reparativen Therapien" zur Heilung von Homosexualität nehmen eine angeblich gestörte Männlichkeit zur Grundlage ihres Wahnsinns.)

Ich ging also über Jahre davon aus, wenn ich mich erst einmal selbst lieben lernen würde, dann würde ich nicht mehr diese Bilder von anderen Männer anziehend finden. "Wird sich schon einrenken!" Natürlich kann man mich jetzt fragen: Aber Homosexualität ist doch gar nicht problematisch und du als tolerantes Kerlchen solltest doch als erstes auf solche lächerlichen Verdrängungsstrategien verzichten können...? Ich habe das wohl weniger aus internalisierter Homophobie - wie es so schön heißt - gemacht, als vielmehr aus purer Faulheit. Denn schwul zu sein, ist ja nun immer noch nicht ein Zuckerschlecken in dieser Gesellschaft. Das zieht einen Rattenschwanz an ziemlich komplexen Tätigkeiten nach sich, welche sich dem Heterosexuellen eher einfacher oder gar nicht stellen: Das fängt beim Outing an, geht über die Partnersuche weiter, dann gibt es sicher immer wieder Anfeindungen, die man ja nun auch als engagiertes Mitglied einer Minderheit argumentativ außer Kraft setzen sollte usw. usf. Boah, ich finde das schlimm und anstrengend und will das eigentlich alles gar nicht. Aber es führt nunmehr kein Weg daran vorbei. Ich musste leider einsehen, dass all die schönen Theorien vom Vielleicht-Hetero-Werden meinem neuentdeckten Selbstverständnis nicht standhielten. Nun stehe ich also da: Ein ungeouteter Schwuler, eine Jungfrau, ein absoluter Beginner. Vielleicht hilft mir ja das Schreiben zu einem neuen Tun. Denn es gibt viel zu tun und ich weiß nicht ansatzweise, wo ich anfangen soll...

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Letzte Aktualisierung: 13. Juli, 02:03
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