Bekenntnisse eines ungeouteten Schwulen
Mittwoch, 9. Mai 2012
Drei Geschichten
Ich habe von drei Geschichten gehört. Die ersten zwei spielen in der DDR. Bei der einen gibt es einen schwulen NVA-Soldaten, der bei einer Feier einen bereits vom Alkohol niedergestreckten Kameraden vergewaltigen will - also sich seelenruhig zum Stich freimacht, während die Party noch am Laufen ist. Schlimmeres soll verhindert und dem Versuchstäter wohl auch am nächten Tag eine Abreibung verpasst worden sein. In der zweiten Geschichte wird ein junger Mann früh morgens oder sehr spät abends - jedenfalls ist es menschenleer - in die Fahrerkabine eines öffentlichen Verkehrsmittel geholt. Was sich zuerst als reine Freundlichkeit des Fahrers darstellt, gipfelt in peinlich-unangebrachten Berührungen. In der dritten Geschichte, die weniger Geschichte als vielmehr Brauch ist und sich zur aktuellen Zeit der Bundeswehr zugetragen haben soll, geht es um gleich zwei Schwule in einer Bundeswehreinheit. Und diese haben immer getrennt von den anderen Mitgliedern der Einheit geduscht, weil das die anderen Mitglieder - natürlich tolerante Menschen - so wollten. Alle Geschichten implizieren indirekt oder thematisieren direkt das Klischee des immergeilen Schwulen, der jederzeit zum sexuellen Übergriff bereit ist. Okay, bei der dritten Geschichte ist das irgendwie ambivalent: Die Trennung der Geschlechter in Umkleidekabinen ist ja durchaus auch gang und gäbe - hat das sexuelle Gründe? Durchaus verständlich, dass dann auch eine Trennung von homosexuellen und heterosexuellen Männern angebracht scheint. Ich finde das insgesamt schwierig zu bewerten - wahrscheinlich habe ich auch deswegen mein ganzes Leben unbewusst jegliche Situationen gemieden, die die Möglichkeit gegenseitigen Schwanzbeschauens enthalten: Vom Pissbecken über die öffentliche Dusche bis zur Bundeswehr. Vielleicht war ich schon soweit in meiner noch nicht eingestandenen Homosexualität gefestigt, dass ich wusste, dass es zu sexuellen Spannungen und also Peinlichkeiten kommen könnte. (Oder vielleicht lag es doch nur an der Einbildung, ich hätte einen zu kleinen Penis - eine lächerliche Sache, die mich aber ziemlich lange begleitet hat.) Gerade deswegen finde ich auch die ersten zwei Geschichten - also von meiner Warte aus betrachtet - so suspekt; womit ich übrigens nichts über deren Wahrheitsgehalt gesagt wissen will. Ich würde niemals solche Angriffe auf die sexuelle Integretät eines anderen Menschen starten. Aber man muss natürlich auch die gesellschaftliche Situation in Betracht ziehen: Gerade wenn homosexuell Empfindenen die Hilfe mit ihren Neigungen, ein Halt im erotischen Wirrwarr und die Akzeptanz verwehrt bleibt, können solche plötzlichen Überfälle geschehen. Und den unendlichen Zugriff auf Schwulenpornos über das Web zwecks Abreaktion, den gab es ja auch nicht. Damit will ich solches Verhalten zwar nicht gutheißen (ganz im Gegenteil), aber kann durchaus ein wenig Verständnis dafür aufbringen.

Ich betrachte diese Geschichten übrigens ganz wertfrei - jedenfalls solange sie nicht eine Art Blaupause darstellen, welche das Denken über Schwule anleitet.

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Letzte Aktualisierung: 13. Juli, 02:03
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