Bekenntnisse eines ungeouteten Schwulen
Freitag, 11. Mai 2012
Coming-Out I
Dem Blogtitel nach hatte ich meines ja noch nicht. Und sowieso - es ist ja nicht nur eins: Es sind mehrere, verschiedenen Menschen und Menschengruppen gegenüber. Der besten Kumpel, der engere Freundeskreis, die Familie etc. Und es gibt keinen richtigen Moment dafür. Das ist sowieso das allerschlimmste. Man muss die Situation selbst herbeiführen - so wie bei einem Bankett, bei dem derjenige, der etwas zu sagen hat, mit dem Löffel gegen das Sektglas stößt. Also das nur als symbolische Analogie - wortwörtlich habe ich das natürlich nicht vor. Jedenfalls macht es mir dieses Initiationsritual in die Homosexualität verdammt schwer und ich werde sicher noch einige Wochen oder Monate brauchen, bis ich das wirklich hingekriegt habe. Ich war schon einige Male davor, etwas in der Art zu sagen wie: "So Leute, hört mal zu, ich muss euch jetzt mal was sagen..." Aber kurz davor war mir plötzlich so schlecht und mein Herz pochte so hart, dass ich einen Angtsrückzieher machte. Dann denkt man wieder nach: Mit welcher Ernsthaftigkeit und Ausschweifigkeit soll man das Coming-Out vorbereiten - oder sollte man es überhaupt sektglas-analogie-mäßig vorbreiten? Vielleicht sagt man ja auch einfach nur in den Raum: Ach ja, ich bin schwul. Aber das kommt irgendwie auch komisch. Besonders wenn man 28 ist...

Ja, ich weiß. All diese Gedanken, all diese Abwägungen - ich mache mich damit ja auch zum Spielball einer heteronormativen Welt, mache meine Homosexualität davon abhängig, ob meine Freunde und Familie davon wissen. Ist das überhaupt notwendig? Klar wäre es schön, einfach mal einen Mann kennenzulernen, diesen dann seinen Freunden vorzustellen und sich in diesem Moment quasi durch Fakten ("Das ist mein Freund!") ganz unverkrampft zu outen. Aber so einfach geht das eben nicht. Zum einen lässt das meine Persönlichkeit nicht zu - ja, ich würde mich in gewisser Weise schuldig fühlen, wenn ich bereits daten würde, ohne vorher mein Coming-Out gemacht zu haben. Das hätte was Geheimniskrämerisches. Klar ist dieses Gefühl problematisch - vielleicht ist das ein eher pathologischer Zug von mir ist. Zum anderen kann dieses Gefühl seine Gründe auch in einem gesellschaftlichen Zwang haben. Dieser Zwang muss nicht unbedingt ideologisch sein. Befreien wir den Begriff Heteronormativität einmal von seinen ideologischen Implikationen, so sagt er nicht mehr und nicht weniger aus, als das Heterosexualität nun einmal die Norm ist - was statistisch zweifellos der Fall ist. Und da man einem Schwulen jenseits der Klischeevorstellungen von der "Tucke" seine Homosexualität nun einmal nicht an der Nase ablesen kann, folgt zwangsläufig, dass man einen Menschen erst einmal stets für hetero hält. Und das eben nicht unbedingt aus böser Absicht oder Homophobie - sondern wegen statistischer Unwahrscheinlichkeit, dass es sich beim Gegenüber um einen Schwulen handelt (nur jeder 10. bis 20. Mann ist ein solcher). Kann man daraus ableiten, dass der Homo in einer Bringeschuld gegenüber der Gesellschaft ist, sich eben als Homo erkennen zu geben? Schwierig. Ich persönlich sehe aber derzeit keine andere Möglichkeit, um mich bei all den so aufkommenden Gesprächsthemen (Freundin, Attraktivität von Frauen) nicht als Lügner oder passiver Aussparer (also Halblügner) zu betätigen. Damit wären wir wieder beim Anfang - das sind sie doch, die Anlässe zum Coming-Out: Fragen wie "Wie sieht's denn mit 'ner Freundin aus?" bieten sich idealerweise an. Doch wie bereits erwähnt: So einfach ist es eben nicht. Und letztendlich geht es beim Coming-Out dann doch weniger um die Inkenntnissetzung der Umwelt, als vielmehr darum, dass man einen Teil von sich soweit akzeptiert hat, dass man ihn nicht zu verstecken braucht, sondern ihn offenherzig und locker anderen mitteilen kann. Und darin ist es wohl, wo mein Drang zum Coming-Out und gleichzeitiges Zögern eigentlich begründet liegt...

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Letzte Aktualisierung: 13. Juli, 02:03
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