Bekenntnisse eines ungeouteten Schwulen
Freitag, 15. März 2013
Mein Coming-Out
Der Abend war von langer Hand geplant. Ich habe das gut befreundete Paar schon seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen. Ein gemeinsamer Abend mit Essen und ein bisschen Alkohol, das wäre genau der richtige Moment. Also habe ich einen Termin lanciert und ich wusste, an diesem Tag musste es passieren. Mut und Überwindung, das ist eine Sache - aber ohne Planung kommt kein Coming-Out zustande, jedenfalls nicht das erste. Es gibt dafür keinen spontanen Moment, nicht für mich, und somit muss man den Situation strategisch selbst herbeiführen. Zufällig war noch ein anderer meiner besten Freunde in der Stadt und obwohl er nicht unbedingt kommen wollte, habe ich ihn überredet. Drei Fliegen mit einer Klappe, die Chance muss man nutzen!

Der Abend begann locker, gemeinsam wurden die Zutaten für das Gericht geschnippelt, alle waren ungewöhnlich gut und fröhlich drauf. Vielleicht ein bisschen müde, aber trotzdem: die besten Vorraussetzungen. Das Essen hatte wunderbar geschmeckt, ich habe bereits eine halbe Flasche Wein in meinem Blutkreislauf. Es gab viel zu berichten und so hörte ich gespannt zu. Manchmal beschlich mich Unsicherheit und der Gedanke, mein Vorhaben abzubrechen, drohte sich anzukündigen. Aber nein, wie oft hatte ich den Versuch, mich zu outen, bereits abgeblasen? Und ich hatte nun schon seit gut drei, vier Wochen auf diesen Moment vorbereitet. Die Rede war ich bereits millionenfach in meiner Fantasie durchgegangen: selbstbewusst und charmant trug ich die Worte vor, mit kunst- und eindruckvollen Pausen... "Wie ihr wisst, hat sich im letzten Jahr viel in meinem Leben geändert---" (ja, das hat es wirklich) "---und es wird Zeit, über die Zukunft, über ein erwachseneres Leben nachzudenken, z.B. einen Partner - man will ja nicht mehr allein sein---" (spitzbübisches Lächeln) "---jedenfalls will ich euch nur vorbereiten, dass, falls ich jemanden für mich finde, dieser Jemand keine Frau, sondern ein Mann sein wird. Weil ich auf Männer stehe." Ja, so hatte ich es mir vorgestellt. Und jetzt war der Augenblick gekommen, wenn nicht jetzt, dann nie. Also fasste ich all meinen Mut zusammen, um den Anfang zu machen, und sagte in einen ernsthaften Ton: "Leute, ich habe euch was zu sagen." Sie schauten mich erschreckt an, denn natürlich brach ich die Stimmung mit dieser eher finster vorgetragenen Ankündigung. Ich war so unglaublich verunsichert und säuselte wohl vor mich hin "Oh Gott, jetzt mach ich das wirklich"... Ich fing mit dem ersten Satz meiner geplanten Rede an und dachte mir nur, als ich mich wie von außen reden hörte, dass ich unglaublich verkrampft und unlocker bin. Meine Freunde schauten mich verwundert und mit großen Augen an, denn mein stotternder Duktus ließ nur darauf schließen, dass es sich wohl um etwas ziemlich Schwieriges für mich handelte. Verdammt, muss ich mich künstlich und verklemmt gegeben haben! Während ich mich von Satz zu Satz hangelte, wurde mir die Situation immer peinlicher. Am liebsten hätte ich mitten im Satz abgebrochen und wäre aus dem Zimmer geflohen. Und warum schämte ich mich so? Ja, ich verspürte eine schier unglaubliche Scham. Wofür eigentlich? Dafür, dass ich schwul bin, oder dass ich es erst mit Ende Zwanzig schaffe, mich zu outen? Oder weil mein Outing nichts von der erträumten Lockerheit hat? Egal, irgendwie über zehntausend Umwege und peinlichen, statt kunstvollen Pausen kam ich zum Schluß: "...weil ich auf Männer stehe."

Es war nur ein ganz kurzes Schweigen, natürlich kam es mir wie eine Ewigkeit vor, ihnen vielleicht auch. Meine Freunde mussten sich natürlich auch erst einmal fangen. Sowas passiert halt nicht alle Tage. Nach ganz wenigen Sekunden lächelte sie breit und sagte, dass dies schön sein. Der Freund, der für diesen Abend ursprünglich gar nicht eingeplant war, nahm meine Hand wie zur Gratulation und sagte: "Ich habe echt Respekt davor, dass du den Mut aufgebracht, uns das zu sagen. Du weißt hoffentlich, dass sich nichts zwischen uns ändern wird..." Ungwöhnlich, wie sie in der Lage waren, die richtigen Worte zu finden, während ich noch nicht einmal vor einer halben Minute wie ein kurzgeschlossenenes Radio getönte hatte. Klar, die ersten fünf Minuten nach meinem Bekenntnis waren schon etwas komisch, etwas ungeübt und steif beantwortete ich die (schweren) Fragen, wie lange ich es schon wüsste usw. usf. Aber schnell wurde uns allen klar, was man ja eigentlich eh wissen müsste: ich war noch diesselbe Person. Und so fanden wir ganz ohne Probleme wieder zur Lockerheit des Beginns unserer Zusammenkunft. Nur eben, dass es diesmal eben öfter um meine Homosexualität ging. Und so redeten wir über mich, über das, was sie denken, was ich erwarte, wie und ob sie sich umstellen müssen, frötzelten über Männertypen, lachten über Klischees, interpretierten die gemeinsame Verhangenheit neu. Die Befreiung, die durch solch einen zwanglosen Umgang mit jenem, was man über Jahre für sich behalten hat, entsteht, ist durch nichts in der Welt aufzuwiegen. Ja, man muss den unangenehmen Augenblick des Coming-Outs durchstehen - aber es lohnt sich.

Dies war der vielleicht wichtigste Moment meines Lebens. Selbstverständlich löst er nicht all meine Probleme und erfüllt auch nicht meine Sehnsüchte, aber er ist ein Schritt nach vorn. Drei Leute wissen es, das gibt Kraft. Alle anderen Freunde, Bekannte, Verwandte wissen es noch nicht. Das Coming-Out scheint mir ein lebenslanger Prozess, der immer wieder von vorne beginnt (z.B. immer dann, wenn man unbekannten Leuten begegnet). Tja, aber ich hoffe, dass es ab jetzt etwas leichter wird. Der Blogtitel passt jedenfalls noch immer...

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Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Aber irgendwie möchte ich doch einen Kommentar schreiben.
Glückwunsch erst mal. :) Es ist wirklich wunderbar zu lesen, was da zu lesen ist. Es ist schön, das du dich damit so gut fühlst, das deine Freunde dich unterstützen und ich freue mich für dich.
Hier noch ein Emoticon mit Nase :-)

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Danke! Auch für das Emoticon mit Nase :D (Die sterben nämlich langsam aus...)

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Mensch Bombastu, das freut mich riesig für dich!! :)

Es ist übel, etwas mit sich herumzuschleppen zu müssen und zu denken, es niemandem sagen zu können. Ich glaube, dieses befreiende Gefühl kann man wirklich nur nachempfinden, wenn man es selbst erlebt hat.

Glückwunsch zu deinen Freunden! :) Ich denke sie haben es auch als Kompliment aufgefasst, dass sie "die Ersten" waren.

Viele Grüße und alles Gute weiterhin!
ketcar

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Ich weiß zwar nicht, wer du bist (aber: Hallo!), außerdem fällt mir auf, wie lächerlich mein Nick ist (aber: so war er ja auch geplant) ... jedenfalls danke!

Das befreiende Gefühl ist wohl wirklich kaum nachzuvollziehen, wenn man es nicht am eigenen Leib erfahren hat. Und so vielen passiert es ja nicht. Denn der einfache Umstand, dass Homosexuelle eine Minderheit sind, ist ja der Grund für einmal den Druck, sich nicht zu outen, und die Befreiuung, wenn man es getan hat...

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Irgendwo in diesem Blog stand es schonmal, ich glaube in Zusammenhang mit der Verlinkung zu einem Video...

Ideal wäre es natürlich, wenn Outings generell nicht mehr "nötig" wären. So nach dem Motto "Das ist Alex, meine Freundin!" "Oh schön!" und das gleiche bei "Das ist Alex, mein Freund!" "Oh schön!" Aber ich glaube, die Diskussion gab es hier schonmal...

Aber weil das in der heutigen Gesellschaft leider noch nicht so ist, möchte ich mich im Glückwunschreigen einreihen und selbiges herzlichst äußern! :) Ich kann mir vorstellen, was da u.U. für ein Stein vom Herzen rollt.

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den mutigen gehört die welt. ich wünsche ihnen viel glück. und viel liebe. und viel glück in der liebe! ;)

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Vielen Dank für die aufmunternden Worte! :)

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Letzte Aktualisierung: 13. Juli, 02:03
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