Nein, dies hier wird keine Geschichte vom obergeilen Schwulen, der sich im Pissoir nach Riesenschwänzen umschaut, um sie dann durchs Glory Hole genüsslich abzuschlecken. Entgegen des modernen Mythos wollen die meisten Homos nämlich nur das Eine auf dem Klo: Pullern. Ich will in diesem Text mein Verhältnis zu all den Situationen klären, in denen Männer ihre Schwänze bereitwillig in freier Sichtbahn hängen lassen, am Urinal, im Umkleideräume, in der Gemeinschaftsdusche, in Saunen usf. Okay, das Verhältnis ist schnell beschrieben: Es gibt keines. Ich habe es bisher eigentlich immer gemieden, mir die Blöße vor anderen Männern zu geben. Ich stelle mich selten ans Urinal - ich wäre eh gehemmt, wenn da jemand neben mir stände, und würde keinen Tropfen rausbekommen. (Am besten sind diese länglichen Urinal-Tröge, wo die Pimmel wie Kühe aufgereiht sind.) Und einer der Gründe, lieber Zivildienst zu machen, sicher nicht nur für mich? Natürlich die Gemeinschaftsduschen bei der Bundeswehr...
Grund Nr. 1 für diese Vermeidungen: Scham. Ja, obwohl ich es besser wissen sollte, vernünftig sein sollte, wissen sollte, dass mein Penis und seine Größe nun wirklich keine Sau interessiert, habe ich trotzdem Angst vor der Möglichkeit, ausgelacht, angesprochen oder angestarrt zu werden. Der Körper hat da auch eine ganz perfide Strategie, mich in dieser Situation zu schützen: "Pump Blut rein, dann wird er größer!" Na bravo, besser kann's nicht werden. Mir ist es schon oft passiert, wenn ich so die Chance eines leeren Pissoirs genutzt und mich allein ans Urinal gestellt habe, dass allein die Vorstellung eines Nebenstehers zu einer Semierektion geführt hat. Und nein, sexuell motiviert ist das nicht. Wie schon gesagt: Ich bin da, um zu pullern. Wie man sieht, mit derlei wunderbaren psychosomatischen Fähigkeiten ausgestattet, kann jede peinliche Situation im Umkleideraum zu einem echten Knaller werden. Zugegeben, ich weiß zwar nicht, wie es da abläuft, aber falls es die typischen Locker-Room-Dynamics gibt (das Machogebahren, die homophoben Sprüche, das gegenseitige Aufziehen), dann ist es gut, dass ich ihnen bisher aus dem Weg gegangen bin.
Grund Nr. 2: Angst vor sexuellen Spannungen. Ja, ich wiederhole es gerne - für die meisten Schwulen haben all diese Situationen nichts Sexuelles. Der Mensch ist nun einmal auch ein pragmatisches Wesen und kann Lebensbereiche voneinander trennen. In der Gemeinschaftsdusche will man nach dem Sport sauber werden und sich nicht seine Partner aussuchen. Klar, es kann sicher einmal vorkommen, dass man den einen oder anderen Mitduscher sexy findet. (Aber Entwarnung für den verängstigten Hetero: Kein Homo wird dich unter der Dusche anspringen. Manchmal bist du halt ein Sexualobjekt für einen Schwulen - get over it!) Für mich als Ungeküssten und Unberührten ist das Verhältnis zu anderen Männerkörpern natürlich noch einmal 10.000-fach instabiler. Wer weiß, was da passiert. Das will ich nicht erleben! Meine Hemmungen, die sich seit meiner Pubertät herausgebildet haben, waren wohl frühe Anzeichen einer noch unbewussten Homosexualität. Ein unbewusstes Spüren, dass es zu sexuellen Spannungen kommen könnte. Ich denke mal, dass wird sich legen, wenn ich mal einen Freund und ein bisschen mit seinem Penis gespielt habe. Ich hoffe es, denn eigentlich finde ich dieses psychologische Affentheater total lächerlich. Was ich will, das ist im Locker-Room ganz locker und entspannt sein. Was man will, das ist aber manchmal nicht das, was man kann...
Irgendwie - vermittelt durch "Alles Evolution" über "Gay West" - bin ich in das Kampfgebiet zwischen Feminismus und Maskulismus gestoplert. Bis vor kurzem wusste ich gar nicht, dass es letzteres gibt. Wie dem aus sei, Anlass war dieser aus maskulistischer Perspektive geschriebener Artikel auf "Alles Evolution", der sich auf diesen feministischen Artikel auf "Somulus Welt" bezieht. Ich habe beide Texte mit Interesse gelesen, was ihr auch tun solltet. Und ich habe bei Somulu versucht einen Beitrag zu hinterlassen, der allerdings nicht durch die Moderation der Blogautorin kam. Aus diesem Grund hier der Wortlaut meiner Entgegnung, der auch etwas ironisch ist, da ich der Verbissenheit und Humorlosigkeit all dieser Grabenkämpfe nicht wirklich etwas abgewinnen kann:
Die allgemeine Haltung ist, dass ich mich natürlich reuevoll und demütig zu zeigen habe und dass ich einsichtig meine eigenen Verfehlungen kritisch hinterfragen muss. Das ist gewalttätig, weil es unverhältnismäßig ist.
Eine solche Haltung gegenüber Frauen, dass sie sich nur auf die “richtige” Art wehren dürfen und vorher checken sollen, ob ihre Reaktionen verhältnismäßig sind und wenn sie das nicht tun, diese dann mit den Aggressoren im öffentlichen Raum gleichzusezten, ist reaktionär und sexistisch.
Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass es nicht darum geht, ob du dich als Frau richtig verhalten hast, sondern als Mensch? Mit Verlaub: Du und deine Freundinnen haben sich im beschriebenen Fall eben einfach als absolute Arschlöcher geriert. Irgendwelche Menschen unberechtigt und grundlos anzupöbeln, geht halt nicht an. Für Männer nicht, für Frauen nicht. Ist eben das Allerletzte. Das wird man wohl einfach feststellen dürfen. Und nein, mit einer solchen Aussage schmälere ich nicht, dass es natürlich eine lobenswerte Sache ist, einer bedrängten Frau in der U-Bahn zu helfen. Solche Übergriffe sind unangenehm und ebenfalls das Allerletzte. Aber auf Allerletztlichkeiten gibt es eben keine geschlechtliche Lizenz.
Deine beschriebenen Beispiele sind ein Kessel Buntes, in dem du mal tatsächliche, mal anscheinende und mal scheinbare Täter "vor dir hertreibst". Mit ist hier zu wenig Differenzierung: Einen Menschen, der in die gleiche Richtung wie du geht, unter Gewalttäter-Verdacht zu stellen, das irritiert mich schon. Wenn des Nachts Menschen hinter mir herlaufen, habe ich übrigens auch Schiss. Ich verbuche das aber meist unter meine paranoide Schisshaftigkeit, die immer vom Schlimmsten im Menschen ausgeht. Ein mir selbst ein sehr unangenehmer Charakterzug.
Aber was rede ich hier überhaupt, der Beitrag wird eh nicht durchgehen. Als Mann wende ich mich nun wieder meinen förmlichen Pflichten zu: K.O.-Tropfen mischen, frauenfeindliche Gerichtsurteile fällen, schmierig zwei Frauen im Café anmachen usf. Steht alles in unserem Merkheft "1x1 des Mannseins", was uns frühstens bei der Geburt und spätestens Anfang der Pubertät ausgehändigt wird.
Nun mag man einwerfen, dass dies doch gar nicht nötig sei, also sich als Heterosexueller zu outen. Heterosexualität ist die statistische Norm und kann somit bei einem Großteil der Menschen angenommen werden. Das heißt trotzdem nicht, dass sich Heterosexuelle nicht outen würden. Sie tun dies ständig - und zwar durch konkludentes Handeln: Sie besitzen einen andersgeschlechtlichen Partner, erzählen (manchmal andauernd) von diesem Freund oder dieser Freundin, laufen mit diesem Partner händchenhaltend durch die Stadt, küssen sich, flüstern sich Sachen zu, leben zusammen etc. pp. Darin nimmt keiner Anstoß. Homosexuelles konkludentes Verhalten hingegen scheint etwas anders gesehen zu werden. Überraschung, Ekel, Verwirrung, Starrdrang, Herablassung sind einige der Reaktionen, die man wohl zu erwarten hat. Mir persönlich wäre das Outing durch konkludentes Handeln eigentlich am liebsten und angenehmsten. Aber ich spüre diesen merkwürdigen Druck der heteronormativen Gesellschaft, der von mir verlangt, meinem Handeln eine Warnung vorauszuschicken: Das Outing. Ungewöhnlicherweise wird dieser Druck auch von Homosexuellen ausgeübt. Ganz perplex hat mich der Shitstorm zurückgelassen, der einer Rede Jodie Fosters folgte, die sie anlässlich des Erhalts des Golden Globe Cecil B. DeMille Awards hielt. Wer nicht weiß, worum es geht, hier diese menschliche Ansprache von einer klugen und, falls noch nicht bemerkt, lesbischen Frau:
Ich sage euch, in den Homo-Glossen und- Spalten und -Kommentarseiten der Internetwelt, da gab es nur ein Thema: Sie hat nicht die Worte "Ich bin lesbisch" gesagt. Was für ein Skandal! Denn offenbar muss man dies tun. Outing durch konkludentes Handeln ist wohl für viele Schwule und Lesben ein großes No-No. Nein, vorher muss man den Affentanz des Outing-Ritus durchführen, an jeder Haustür klingeln und über die Gegensprachanlage seine Sexualität verkünden. Und als berühmte Person sowieso, am besten mit Pressekonferenz und Pipapo. Foster problematisiert diese gesellschaftliche Erwartungshaltung und entzieht sich ihr in angenehmer Weise. Wollen wir nicht alle genau dorthin, wo sie schon zu sein scheint? In ein soziales Klima, in welcher die Sexualität keine Rolle mehr spielt und eben genau dann in jener Form erscheint, wenn man zwanglos nach ihr handelt?